Jochen Müller, Josua Scheerer und Simon Wurster, Absolventen der Hochschule Rosenheim, Fachrichtung Holzbau, haben mit Livable Home ein Fertighaus-System entwickelt, das modular erweiterbar und mobil ist, d.h. abgebaut und immer wieder neu an anderen Orten aufgebaut werden kann. Wie ist es zu dieser Neuentwicklung gekommen? Welche Marktchancen versprechen sich die Macher von Livable Home? Birgit Kuhn und Dr. Sofia Delgado, die Gründerinnen von muenchen-querbeet.de, sprachen mit Jochen Müller.
M-Q: Livable Home heißt „Lebenswertes Zuhause“. Was macht ein Livable Home besonders lebenswert?
Jochen Müller: Häuser von Livable Home sind:
- Individuell an die Bedürfnisse der Bewohner angepasst
- Passen zum eigenen Leben und können bei Bedarf mitwachsen
- Nur ausgewählte ökologische und nachhaltige Baustoffe werden verwendet
- Ein Livable Home ist ein stimmiges Gesamtkonzept aus Architektur und Technik
- Ein „Lebenswertes Zuhause“ beginnt schon in der Planung. Livable Home steht für entspanntes, transparentes und sicheres Bauen
M-Q: Seit 2007 lebt die Mehrheit in Städten; der Trend zur Urbanisierung ist auch in Deutschland deutlich. Warum setzen Sie mit dem Livable Home dennoch auf die Wohnform Einfamilienhaus?
Jochen Müller: Es ist richtig, dass der Trend zur Urbanisierung, also der Ausbreitung städtischer Lebensformen, eine Herausforderung für Architekten und Planer darstellt. Allerdings ist zu beachten, dass in Industrieländern wie Deutschland die funktionale Urbanisierung die physische Urbanisierung schon weitestgehend abgelöst hat. Das heißt: Man lebt auf dem Land wie ein Stadtmensch, hat die städtischen Lebensformen angenommen und genießt alle damit verbundenen Vorzüge; zugleich möchte man aber im individuellen und eigens geschaffenen Zuhause wohnen.
Hier ist das Einfamilienhaus nach wie vor ein sehr begehrtes Gut. Kann nun dieses Einfamilienhaus den Anforderungen unserer modernen Gesellschaft, nämlich dem Bestreben nach mehr Mobilität und Flexibilität genügen, dürfen wir durchaus von einem an die funktionale Urbanisierung angepassten Produkt sprechen. Genau das ist ein Haus von Livable Home: modular, mitwachsend und flexibel. Urbanisierung und ein Haus von Livable Home sind somit keine Gegensätze, sondern harmonisch aufeinander abgestimmte Lösungen.
M-Q: Livable Home steht für „Erholungsdomizile weltweit“. Meinen Sie damit hochwertige Zweitwohnsitze in Holzbauweise, d.h. Ferienhäuser, wie es sie z.B. an der dänischen Nordseeküste gibt?
Jochen Müller: Erholungsdomizile sind bei Livable Home individuell an die Bedürfnisse des Hausbesitzers angepasste Wohlfühlhäuser. Somit soll jedes Gebäude dazu beitragen, dass sich die Bewohner darin erholen und entspannen können.
Da ein Gebäude von Livable Home in ISO-Containern transportiert werden kann, ist es möglich das komplette Gebäude einfach und günstig zu transportieren. Daher können Erholungsdomizile auch an Orten errichtet werden, die sonst nur schwer zugänglich wären. Zum Beispiel auch als komplett autarke Gebäude auf abgelegenen Berghängen oder an entfernten Gewässern, wie beispielsweise der dänischen Nordseeküste.
M-Q: Sie werben damit, dass ein Livable Home auf- und wieder abgebaut und mit Containern weltweit transportiert werden kann. Gehen Sie wirklich davon aus, dass moderne „Jobnomaden“, die einige Jahre im Ausland arbeiten, ihr Haus mitnehmen?
Jochen Müller: Jobnomaden nehmen zwar zahlenmäßig zu, sind aber nicht einzig potentielle Kunden für ein Livable Home. Wir sprechen mit unserem flexiblen und modularen Produkt z.B. Menschen an, die einen gewissen, absehbar befristeten Zeitraum in Berlin leben und nach 10 Jahren nach München umziehen wollen. Da wäre es doch eine feine Sache, wenn das komplette Gebäude mitgenommen werden könnte. Weiterhin können Menschen kurz vor dem Ruhestand, die heute bauen, sich in ein paar Jahren an der Seenplatte oder in den Bergen niederlassen. Es gibt also eine Vielzahl an Beweggründen, die den Kauf eines umzugsfähigen Gebäudes wirtschaftlich und sinnvoll werden lassen.
M-Q: Livable Homes können modular erweitert werden. Wie groß ist ein Modul und wie viele verschiedene Module gibt es?
Jochen Müller: Ein Modul ist so groß, dass es gerade noch in einen Standard-Container passt. Das sind 12 Meter in der Länge, 2.20 Meter in der Breite und knapp 2.70 Meter in der Höhe (High-Cube-Container).
Diese Module können durch Tafelelemente nahezu beliebig ergänzt und erweitert werden. So werden nur die Gebäudeteile, in denen eine sehr hohe Vorfertigung erreicht werden kann, als komplette Module vorgefertigt; z.B. der Technikraum, das Bad oder die Toilette. Alle anderen Bereiche werden durch Tafelelemente ergänzt.
M-Q: Wie tragfähig ist die Konstruktion? Können damit auch mehrgeschossige Wohnhäuser oder Bürogebäude gebaut werden?
Jochen Müller: Das Traggerüst eines Livable Home besteht aus Holz. Dass dieser Naturwerkstoff sehr leistungsfähig ist, kann in der Natur beobachtet werden. Eingesetzt in einem Wohnhaus sind damit auch Mehrgeschosser mit acht oder mehr Stockwerken umsetzbar. Standardmäßig sind die Gebäude von Livable Home aber auf drei bis vier Stockwerke ausgelegt.
M-Q: Solarthermie, Wärmepumpe, Windenergie oder konventionelle Heizsysteme – welche Art Haustechnik befindet sich in einem Livable Home und wie umweltfreundlich ist es?
Jochen Müller: Gebäude mit nachhaltigen Energiekonzepten gehören heute in Deutschland schon fast zum guten Ton. Gleiches gilt für Häuser von Livable Home. Vielfach kommen Energieerzeuger zum Einsatz, die Umweltenergie nutzen. Bei Wärmepumpen unterscheiden wir die drei möglichen anzuzapfenden Energiequellen: Wärme aus dem oberflächennahen Untergrund (Bohrung von Erdsonden, Erdkörbe- oder Kollektoren), Umweltwärme aus dem Grundwasser (Grundwasserwärmepumpe) und Umweltwärme aus der Luft (Luftwärmepumpen). Die erst genannten Nutzungen sind häufig genehmigungspflichtig und mit relativ hohem Planungsaufwand verbunden. Am einfachsten umzusetzen sind Wärmepumpen, die Luft als Energiequelle nutzen. Das ist neben den günstigen Investitionskosten sicherlich ein Grund für die mittlerweile starke Verbreitung dieser Wärmepumpe.
Streng genommen ist jede Wärmepumpe nichts anderes als eine Stromheizung mit Umweltenergieanteil. Daher empfehlen wir bei hohem Eigenbedarf an Strom über eine Kombination einer Photovoltaikanlage mit der Nutzung einer Wärmepumpe nachzudenken. Im Wohnbereich kann auch der Einsatz eines Kachelofens mit Anschluss an den Pufferspeicher sehr sinnvoll sein. So können gerade im Winter zu Zeiten, da die Luftwärmepumpe nicht besonders effizient arbeitet, Spitzenlasten abgefedert werden. Genauso kann hier eine Solarthermieanlage dazu beitragen den Warmwasserbedarf oder auch den Pufferspeicher für die Heizungsanlage mit zu unterstützen.
Konventionelle Heizsysteme, wie Öl oder Gas werden von Livable Home nicht bevorzugt und nur auf den ausdrücklichen Wunsch des Kunden realisiert; in diesem Fall aber auch nur das Heizsystem Gas, das eine sehr investitionsgünstige Variante zu den oben genannten Wärmepumpen-Systemen darstellt.
Falls möglich, werden auch die Alternativen Nah- bzw. Fernwärme in Betracht gezogen. Gerade im Stadtbereich stehen diese Möglichkeiten immer häufiger zur Verfügung.
Pelletanlagen werden aufgrund des zusätzlichen Platzbedarfs für das Lager der Pellets und den recht hohen Investitionskosten eher für Sanierungen empfohlen, weniger für Neubauten.
Klar ist, dass heute das Energiekonzept zum planerischen Herzstück eines modernen Gebäudes geworden ist. Hier kann der Kunde von Livable Home den Vorteil nutzen, dass Architektur und Haustechnikplanung aus einem Haus kommen und die Planung integral stattfindet. Kurze Wege, schnelle Entscheidungen und wenig Umwege sind die Folge.
In Bezug auf die Haustechnik greift Livable Home auf die Möglichkeiten und Vorzüge der Gebäudeautomation zurück. Grundsatz dabei ist: Die Technik hat dem Menschen zu dienen und nicht umgekehrt. Also empfehlen wir hier Produkte, die intuitiv bedienbar sind, tatsächlich dabei helfen Routineaufgaben zu übernehmen oder in Bezug auf Komfort, Sicherheit oder Energieeffizienz einen Mehrwert bieten.
Aktuell kommen Systeme zur Steuerung der Beleuchtung, der Verschattung und der automatisierten Regelung der Heizungsstellantriebe bei Livable Home zum Einsatz.
M-Q: Ist das Livable Home ein Smart Home, bei dem alle relevanten Gebäudefunktionen miteinander intelligent vernetzt und ggf. von außen, über Smartphone-Apps, gesteuert werden können?
Jochen Müller: Diese Variante ist eine Option bei Livable Home. Ein komplett vernetztes und intelligentes Gebäude empfehlen wir nur Kunden, die auch eine gewisse Technikaffinität haben und gerne von Technik umgeben sind. Wobei in einem solchen Gebäude weniger Technik zu sehen ist, als in einem Haus mit Standard-Technikausstattung. Schalter werden durch Sensoren ersetzt, mechanische Stellantriebe durch Elektromotoren. So kann bei dieser Ausstattungsvariante tatsächlich der Zustand des eigenen Hauses via Smartphone oder Tablet aus dem Urlaub abgerufen werden.
Viel gesteuert werden muss aber überhaupt nicht. Das smarte Gebäude ist daher smart, da gerade nicht mehr viel nachgestellt oder justiert werden muss. Die Jalousien fahren herunter, wenn die Sonneneinstrahlung zu stark wird, die Heizung geht an, wenn die Wunschtemperatur nicht erreicht ist oder sämtliche Verbraucher und Lampen gehen aus, wenn der „Alles-Aus-Taster“ vor dem Verlassen des Hauses gedrückt wird.
M-Q: Ein Livable Home ist aus dem nachwachsenden Rohstoff Holz gefertigt. Welche Art Holz wird dafür verwendet und wie sieht es mit der Lebensdauer aus?
Jochen Müller: Grundbaustoff eines Livable Homes ist Holz; meistens Fichtenholz als Tragstruktur und falls eine Holzfassade gewünscht, kommt Lärchenholz zum Einsatz. Wir achten darauf, dass unsere Produktionspartner einzig zertifizierte Produkte aus nachwachsendem Anbau verwenden. Akzeptiert werden die Zertifikate FSC (Forest Stewardship Council) und PEFC (Programme for the Endorsement of Forest Certification Schemes).
Konstruktiv geschützt und nach den Regeln der Technik verbaut, überdauert ein Gebäude aus Holz mehrere Jahrhunderte. Beste Beispiele sind heute noch in einwandfreiem Zustand zu bestaunende Holzbauten, die vor mehr als 1000 Jahren erstellt wurden.
M-Q: Der Prototyp des Livable Home, der in Rosenheim errichtet wurde, macht von außen einen futuristischen Eindruck. Wie flexibel ist die Fassadengestaltung eines Livable Home?
Jochen Müller: Die Fassade eines Hauses von Livable Home ist frei wählbar. Ob futuristisch anmutende Glas- Holz-Fassaden in Kombination mit Werkstoffplatten, konventionell verputzte Fassaden oder doch lieber eine Holzverschalung – hier hat der Bauherr die freie Wahl.
M-Q: Wie viele Livable Homes wurden bereits gebaut und werden aktuell im Alltag erprobt?
Jochen Müller: Bislang steht neben dem Prototypen Solar Decathlon in Bad Aibling ein weiteres Gebäude von Livable Home in Aichach – ein Verwaltungsgebäude mit flexiblem Innenraumkonzept. Ende des Jahres wird ein weiteres Gebäude von Livable Home im Raum Augsburg errichtet sein.
M-Q: Wie viel kostet ein Livable Home für eine vierköpfige Familie mit einer Grundfläche von etwa 125 qm?
Jochen Müller: Bei 125m² schlüsselfertigem Einfamilienhaus rechnen wir mit Preisen ab ca. 225.000 EUR. Das entspricht einem Quadratmeterpreis von ca. 1.800 EUR.
M-Q: Inland oder Ausland – wo sehen Sie die besseren Absatzchancen für Ihr Produkt?
Jochen Müller: Deutschland ist gebaut, hat aber sehr interessante Nischenmärkte. Die großen Bauprojekte, die skalierbar sind, werden in Asien und Afrika in den nächsten Jahren stattfinden. Livable Home wird hierzulande als auch im Ausland vertreten sein.
M-Q: Was sind Ihre Ziele für die nächsten Jahre?
Jochen Müller: Livable Home möchte dazu beitragen das Thema Bauen neu zu denken. Dabei sollen nicht nur wirtschaftliche Überlegungen im Vordergrund stehen, sondern ein ehrliches, verantwortungsvolles und harmonisches Handeln.
In Deutschland und Europa arbeiten wir neben Konzepten und Lösungen für den innovativen Einfamilienhausbau an Siedlungsprojekten unter dem Gedanken des generationenübergreifenden Wohnens, des jungen Wohnens und des Wohnen in Wohngebieten für Randgruppen, um diese besser in die Gesellschaft zu integrieren.
In Afrika könnte schon bald eine Produktionsanlage für Gebäude aus dem nachwachsenden Naturbaustoff Bambus entstehen.
Wir freuen uns auf die kommenden Projekte.
M-Q: Vielen Dank für das Interview!