Interview mit der Filmemacherin und Garten-Aktivistin Ella von der Haide zum Start des fünften Teils ihrer gleichnamigen Filmreihe über Urbane Gemeinschaftsgärten.
Seit mehr als zehn Jahren reist die Münchener Garten-Aktivistin Ella von der Haide um die Welt und berichtet in ihrer Filmreihe Eine andere Welt ist pflanzbar! von innovativen Gemeinschaftsgartenprojekten, die von BürgerInnen getragen werden. Am 30. Mai geht der aktuelle fünfte Teil der Reihe ihren neuen Film gesprochen.
M-Q: Eine andere Welt ist pflanzbar! – der Titel der Filmreihe lautet wie ein Credo und klingt zugleich wie eine Forderung. Können Menschen durch Gartenprojekte wirklich die Welt verändern?
Ella von der Haide: Ja, das erfahre ich immer wieder, wenn ich urbanen Gemeinschaftsgärten – egal, wo auf der Welt – besuche. Die Gärtner*innen können ihre eigene Umwelt und die Stadtlandschaft selber gestalten, dadurch verändert sich ihr Bezug zur Stadt und ihre Handlungsfähigkeit. Aber auch darüber hinaus gestalten urbane Gemeinschaftsgärten die Gesellschaft, hier werden alternative Ökonomien erprobt und der Umgang mit Gemeingütern oder Commons geübt. Und ganz konkret verändert jede neue Pflanze die Stadt.
M-Q: Welches Urban Gardening-Projekt hat aus Ihrer Sicht die größte und weitreichendste gesellschaftliche Veränderung bewirkt?
Ella von der Haide: Das wird sich vielleicht aus einer historischen Rückschaue in der Zukunft sagen lassen. Denn es ist bei den tausenden von Gärten, die es gibt ist es nicht möglich den Überblick zu behalten und die Veränderungen können auf so unterschiedlichen Ebenen laufen.
Es gibt Urbane Gärten, die den Aus-Bau von Flughäfen oder den Bau von Autobahnen verhindern (Grow Heathrow in London). Oder es gibt Gärten, die so inspirierend wirken, dass sich daraus eine ganze Bewegung entwickelt (Liz Christy Garten in New York). Aber vielleicht ist es auch der Experimentiergarten in München am Ökologischen Bildungszentrum in dem aus einer alten Sorte eine neue Bohne gezüchtet werden wird, die an den Klimawandel angepasst ist und Fleisch ersetzt und dadurch die irgendwann mal unsere Ernährungskultur total umstellen wird?
M-Q: Ihr neuer Film stellt sieben recht unterschiedliche Gemeinschaftsgärten in ganz Deutschland vor. Wie ist es zu der Auswahl gekommen?
Ella von der Haide: Ja, die Gärten sind recht unterschiedlich. Mein Ziel war es ein möglichst breites Spektrum abzudecken.
Ich haben mich bemüht, Gärten in Nord und Süd und Ost und West, in kleinen und in großen Städten, im Stadtzentrum und am Rande der Stadt zu finden.
Und ich habe versucht, unterschiedliche Gartentypen vorzustellen. Gärten, in denen Menschen ihr Geld durch Gemüseanbau verdienen, und Gärten, die ehrenamtlich betrieben werden. Gärten, die sich als politische Projekte verstehen und im öffentlichen Raum agieren, und Gärten, in denen es um die persönliche Weiterbildung oder den erhalt von Kulturtechniken und Handwerk geht.
Und mir war es wichtig, dass möglichst viele unterschiedliche Gärtner*innen zu Wort kommen. Also alt und jung, Frauen und Männer und egal, ob sie lange in Deutschland leben oder kurz.
Ich habe außerdem Gärten besucht, die ich selber noch nicht kannte und Gärten, mit denen ich schon lange in Kontakt stehe und in denen ich Freunde habe. Denn durch diese Nähe und Ferne kommen nochmal andere Bilder zustande.
So ist der Garten in Aalen zum Beispiel eine sehr intimes Portrait geworden, in dem sich die Gärtner*innen sehr persönlich zeigen können. Doch auch in den anderen Gärten haben mir die Gärtner*innen wunderbare Interviews gegeben, die so viel Tiefe haben.
Mein Glück ist, dass ich schon über ein Jahrzehnt in der urbanen Gemeinschaftsgartenbewegung aktiv bin und wir relativ gut vernetzt sind. So, dass ich nirgendwo völlig unbekannt war.
Trotz dieser vielen Zugänge und langen Recherche und der großen Offenheit in allen Gärten und gäbe noch so viele Geschichten zu erzählen.
Ich hoffe, dass durch meinen Film die Zuschauer*innen angeregt werden, in den Gärten in ihrer Umgebung selber nachzufragen, an welchen Welten dort gebastelt wird
M-Q: Gibt es eine Art „gemeinsamen Nenner“, der diese Gartenprojekte kennzeichnet?
Ella von der Haide: Alle pflanzen und ihnen ist klar, dass ihr Gärtnern in einem Gemeinschaftsprojekt über das Gemüse, das sie ernten, hinausreicht.
Gärtnern im Gemeinschaftsgarten ist mehr als Gemüse anbauen und ernten
M-Q: Die Biodiversität/Vielfallt von Pflanzen nimmt ab, und das vor allem auf dem Land; Deutschlands Provinz verödet, wie die Süddeutsche Zeitung vor kurzem schrieb. Dennoch gibt es in ländlichen Regionen und Kleinstädten bisher nur wenige Gemeinschaftsgärten. Warum?
Ella von der Haide: Das glaube ich gar nicht unbedingt. Es gibt wenig Gärten, die sichtbar werden in der urbanen Gemeinschaftsgartenbewegung, aber es gibt immer noch viele Gärten, die von einer Dorfgemeinschaft angelegt werden und es gibt immer noch Allmenden. Und es gibt immer mehr Höfe, die kollektiv geführt werden.
Die Leute, die diese Gärten betreiben, machen das teilweise schon sehr lange.
Das Problem ist auch hier eher, dass die Kommunikation zwischen Städter*innen und der ländlichen Bevölkerung immer noch nicht sehr gut läuft. Wir wissen zu wenig übereinander und sprechen unterschiedliche Sprachen.
Ich wohne am Rande von München und bin in beiden Welten unterwegs und weiß daher, wovon ich spreche.
Aber es gibt immer mehr Verflechtungen. Hofläden und Bauernmärkte, Solidarische Landwirtschaft und Menschen, die hin und her reisen. Ich hoffe, dass sich da noch so einiges tun wird in den nächsten Jahren.
Abgesehen davon gründen sich auch in kleinen Städten immer mehr urbane Gärten und so gibt es z.B. jetzt schon viele Gärten im Bayerischen Oberland.
M-Q: Gärtnern im Gemeinschaftsgarten, ohne abgegrenzte Parzellen, ist ein relativ neues Phänomen. Wie wird sich das Urban Gardening ihrer Einschätzung nach weiter entwickeln? Wird der Boom anhalten oder ist die Begeisterung für Gemeinschaftsgärten ein Phänomen, das typisch für unsere Zeit ist?
Ella von der Haide: Ja, ich glaube der Trend wird sich fortschreiben und es wird immer mehr urbane Gemeinschaftsgärten geben, denn die Gründe, warum diese Gärtenform erfunden wurde, sind die gleich und werden sich weiter verstärken.
Je mehr die Städte wachsen und je stärker die Transportkosten steigen, um so mehr brauchen wir einer gerechten Zugang zu Grünflächen in der Stadt. Bei der Suche nach geeigneten Flächen müssen wir kreativer werden und Urbane Gärten bieten sich dafür an. Aufgrund von Klimawandel und Verdichtung werden Pflanzen und Versickerungsflächen in der Stadt immer wichtiger. Auch das Thema der gerechten, gesunden, lokalen und ethischen Ernährung wird wichtiger werden.
Leider wird der Neoliberalismus morgen noch nicht vorbei sein und daher wird es weiterhin Projekte geben, die einerseits die Folgen mildern und gleichzeitig widerständig sind. Alleine deshalb wird es weiter Urbane Gemeinschaftsgärten geben.
Vielen Dank für das Gespräch!
„Eine andere Welt ist pflanzbar“, Teil 5 Gemeinschaftsgärten in Deutschland,
2016, 55 Min.
Regie, Schnitt: Ella von der Haide
Kamera: Sanne Kurz
Produziert von anstiftung und Eine andere Welt ist pflanzbar!
Premiere: Mo, 30.05.2016, 19:30 – 21:30 Uhr
DVD und Infos unter:
www.eine-andere-welt-ist-pflanzbar.de
post@ella-von-der-haide.de
Veranstaltungsort: Kino Maxim, Landshuter Allee 33, 80637 München
Eintritt: 5 Euro