Brot am Haken funktioniert ganz einfach: Kaufe ein Brot oder einen Kaffee bei einer teilnehmenden Bäckerei und zahle für zwei. Der Bon für den zweiten Artikel kommt als Gutschein an einen Haken und kann von einem Bedürftigen gegen etwas Ess- oder Trinkbares eingelöst werden. In München möchte Initiator Michael Spitzenberger diese Idee an die Unternehmen herantragen. Wir sprachen mit ihm über Brot am Haken.
M-Q: Sie sind von Beruf Immobilienberater. Was motiviert Sie, sich neben Ihrem Beruf mit dem Projekt Brot am Haken sozial zu engagieren?
Spitzenberger: Ich möchte weitergeben. Es ist mir ein großes Bedürfnis, ein wenig dazu beizutragen, dass Menschen, wieder ein Stück weit teilhaben können am Alltag, sich gutes Brot, eine Tasse Kaffee leisten können – und das Menschen auf – manchmal nicht so offensichtliche – Bedürftigkeit aufmerksam werden, in ihrem Viertel und auch bei sich.
M-Q: Sie haben Brot am Haken im Mai 2015 als bundesweite Initiative gegründet. Wie viele Geschäfte machen aktuell in München mit? Wie viele sind es bundesweit?
Spitzenberger: Wir haben bewusst in München sehr langsam begonnen, um im TUN unsere eigenen Gedanken zu verstehen. Felix Oldenbourg, der Geschäftsführer von Ashoka Deutschland, das Sozialunternehmer fördert, hat einmal gesagt, unsere Initiative greife ein verstecktes Problem auf und mit „Brot am Haken“ machen wir es „einfach“.
Dieses angesprochene versteckte Problem, ist die in Statistiken kaum zu fassende und häufig durch „Systemlücken“ fallende Bedürftigkeit in unserer Gesellschaft. Scham und Hemmschwelle sich zu „outen“ sind zwei oft unüberwindbare Hürden.
Wir machen es mit den Hakenbrettern „einfach“ zu handeln und auch sichtbar. Dieses „einfach“ machen ist gar nicht so leicht und das galt es umzusetzen. Dabei sind wir sehr schonend umgegangen und haben trotz aller Hindernisse und Herausforderungen aktuell 19 Ladengeschäfte. Es sind hochwertige Bäckereien, Cafès und auch ein Friseur ist dabei. Dies war uns sehr wichtig, da diese Menschen mit ganzem Herzblut hinter ihrem TUN stehen und auch hinter Brot am Haken. Nach einem Jahr sind wir nun bereit und verstehen unseren Gedanken auch bundesweit umzusetzen. Anfragen aus Oldenburg, Ansbach, Stuttgart etc. gibt es schon und wir freuen uns darüber sehr!
M-Q: Ist es schwierig, Ladeninhaber von der Initiative Brot am Haken zu überzeugen? Wenn ja, woran liegt es nach Ihrer Ansicht?
Spitzenberger: Das ist unterschiedlich und hängt von der Person, ihren Erfahrungen, der Lage des Geschäfts ab. Die Idee ist schnell erklärt, in der Umsetzung entstehen Fragen. Woran erkenne ich Bedürftigkeit, wie kommuniziere ich die Idee, wie reagiere ich auf „Missbrauch“. Wenn der Inhaber, die Inhaberin überzeugt ist und den inneren Impuls verspürt, dann überträgt sich das auch auf die Mitarbeiter und sie sind es, die unser Projekt vor Ort direkt weitertragen. Und über ihre Offenheit und Aufmerksamkeit und Geduld sind wir sehr froh und auch dankbar.
M-Q: Wie kommt Brot am Haken bei den Bedürftigen in München an?
Spitzenberger: Es werden langsam, aber stetig mehr, die von Brot am Haken wissen und sich auch trauen, einen Bon zu nehmen. Wir sind regelmäßig im Gespräch mit sozialen Einrichtungen oder Vereinen (darunter ist die Münchner Tafel), die im Umkreis der teilnehmenden Geschäfte aktiv sind. Das sind unsere „Hakenhelfer“, aber auch Privatpersonen sind hier aktiv und eine große Unterstützung für diejenigen, die sich schwer tun, einen Bon in Anspruch zu nehmen. Es ist für nicht wenige ein großer innerer Kampf – „bin ich bedürftig genug, bringe ich den Mut auf hineinzugehen?“ – das wissen wir aus Zuschriften und Gesprächen. Sobald sich ein Mensch traut, kommt etwas in Bewegung. Er ist berührt, dass in seinem Viertel jemand an ihn denkt und er ist berührt von seinem eigenen Mut, die Hemmschwelle zu überwinden.
M-Q: Müssen sich Bedürftige ausweisen, um in den Genuss eines gesponserten Kaffees, eines Stück Kuchens oder eines Brotes zu kommen?
Spitzenberger: Ganz klar „Nein“. Angenommen, Sie stehen kurz vor Ladenschluss mit nur noch 20 Cent in der Tasche in der Bäckerei, brauchen aber noch unbedingt ein Brot – auch Sie dürften sich einen Bon nehmen. Wir als Brot am Haken möchten Vertrauen aufbauen und nicht zerstören. Ein Stück Normalität, ein Stück Menschlichkeit tut jedem gut.
M-Q: Wie sieht es mit der Spendierfreudigkeit der Menschen aus? Wie viele Bons hängen in der Regel am Haken einer teilnehmenden Bäckerei?
Spitzenberger: Da gibt es keine Regel. Mal sind es zwei, drei, mal fünf, sechs. Die Münchnerinnen und Münchner geben gern, das wissen wir von unseren Besuchen bei den teilnehmenden Bäckereien. Aber viele „erwarten“ auch eine rasche Abnahme. Das dauert aber manchmal, aus den schon genannten Gründen, heißt aber nicht, dass die Bons nicht gebraucht werden. Da entstehen im Laden oder auch mit uns schon interessante Gespräche über die eigene „Bedürftigkeit“, die eigenen Erwartungen. Das Interessante hier ist die Zeit. Wir haben in der heutigen schnelllebigen Zeit oft keine Geduld mehr. Alles braucht seine Zeit. Bei manchen Geschäften läuft es vom ersten Tag an, bei anderen hat es ein halbes Jahr gedauert.
M-Q: Welche Art Lebensmittel werden bei Brot am Haken überwiegend gespendet – Brot, Kleingebäck wie z. B. Semmeln oder Brezen oder Getränke, etwa Kaffee?
Brot am Haken kann auch zum Bedürfnis werden….
Spitzenberger: Es ist häufig eine bunte Mischung aus all diesen Dingen. Ein Kunde von der Bäckerei Neulinger in der Wörthstraße erzählte es mir so: „Jeden Sonntag ist es mir ein Bedürfnis etwas an den „Haken“ zu hängen. Ich mache mir schon vorher Gedanken, mit was ich meinem Mitmenschen eine Freude machen kann; mal ein Cappuccino, mal eine Butterbreze oder auch ein Stück Torte. Für mich ist dieser kleine „Haken“ ein Bedürfnis und er ist nicht mehr wegzudenken.“
M-Q: Wie kann ein Kunde, der einen Brot am Haken-Bon einkauft, sicher gehen, dass sein Gutschein ausgehändigt und von einem Bedürftigen eingelöst wird?
Spitzenberger: Manchmal dauert es tatsächlich einige Wochen bis die Aktion in einem Geschäft so langsam in Gang kommt. Diese Zeit muss man haben. Wenn wir sehen, dieses Warten macht die Inhaber und auch die Kunden unruhig, lösen wir die Bons ein und verteilen Brot und Gebäck etwa in der Teestube und machen so auch auf das Angebot aufmerksam. Es verfällt kein Bon! Und noch mal: Wir vertrauen auf das Gute im Menschen. Auch jeder Nehmer muss sich Gedanken machen, in welchem Maße er „bedürftig“ ist und wieviel er vom „Haken“ nimmt. Dadurch, dass Brot am Haken „offen“ ist, entsteht sehr viel Spielraum für innere und äußere Kommunikation.
M-Q: Die Idee ist nicht neu. In Neapel gibt es den Caffè sospeso – „aufgeschobenen Kaffee“ bereits seit über 100 Jahren. Dort herrscht aber eine andere Kaffeekultur. Ist es am Ende nicht doch eine Mentalitätsfrage, ob Brot am Haken in Deutschland Erfolg hat?
Spitzenberger: Die Kaffeekultur mag anders sein, aber Hilfsbereitschaft, teilen zu wollen, ist etwas zutiefst Menschliches. Da gibt es keine Grenzen. Die Deutschen sind sehr hilfsbereit, das sieht man allein bei den vielen Ehrenämter. Es geht hier um mehr, jedoch muss und darf das jeder selbst herausfinden. Wer sich auf diesen Prozess einlässt, wird auch entdecken!
M-Q: Viele Backwaren werden nach einem Tag vom Handel aussortiert und weggeworfen oder als Futtermittel verwendet. Dabei sind die Produkte noch für den menschlichen Verzehr geeignet und schmecken gut. Liegt in Backwaren, die älter als einen Tag sind, nicht auch ein Potenzial, wenn man Bedürftigen zu Brot verhelfen und zugleich die Lebensmittelverschwendung eindämmen will?
Spitzenberger: Dieser Aufgabe widmet sich die Münchner Tafel und das machen sie sehr gut. Wir sind stolz darauf, dass wir mit der Münchner Tafel zusammenarbeiten dürfen. Wir können mit Brot am Hakennicht den Hunger stillen. Das macht die Münchner Tafel mit ihrer Struktur hervorragend. Wir mit dem kleinen Hakenbrettchen sind ein Bindeglied der verschiedenen Gesellschaftsschichten. „Freude schenken“ ist unser Ziel. Wer sich traut hat schon halb gewonnen. Das Hakenbrettchen ist erst der Anfang, die Menschen zu verbinden. Wir freuen uns schon auf das, was danach kommt.
M-Q: Was ist Ihr persönliches Ziel für Brot am Haken in diesem Jahr?
Spitzenberger: Einfach weiter machen wie bisher. Da wir organisch wachsen, überlassen wir die Dinge der Zeit. Ich persönlich habe mir vorgenommen, dem Egon unter die Arme zu greifen. Egon ist ein toller Mensch mit einer bewegten Vergangenheit. Seine Geschichte ist auf unserer Internetseite nachzulesen. Egon sucht seit langem wieder eine Arbeitstelle. Nun kann ich ihn mit meinem Netzwerk unterstützen. Das freut mich.
Kontakt:
Brot am Haken e.V.
c/o Impact Hub
Gotzinger Straße 8
81371 München
Handy: 0151 – 15 27 63 97
Mail: info@brot-am-haken.org
Web: http://www.brot-am-haken.org