Seit dem Jahr 2001 gibt es in Trudering einen Waldkindergarten, in dem derzeit 15 Kinder von Montag bis Freitag von 8.00 bis 14.30 betreut werden. Wie sieht der Alltag der Kinder im Waldkindergarten Trudering aus? Welche Perspektive haben Waldkindergärten in einer Stadt wie München, in der es immer weniger Freiflächen gibt? Birgit Kuhn hat den Waldkindergarten auf dem Hoffest Riem kennen gelernt und mit Julia Lohner, zuständig für Presse im Waldkindergarten Trudering und Mutter eines 4-jährigen Waldkindergarten-Kindes, gesprochen.
M-Q: Warum haben Sie sich für einen Platz im Waldkindergarten für Ihr Kind entschieden?
Julia Lohner: Wir wollten, dass unser Kind seinen Bewegungsdrang voll ausleben kann, dass unser Sohn sich so entwickeln darf, wie er wirklich ist und weitgehend ohne Spielzeug seinen Tag gestaltet. Das kann er im Wald sehr gut. Er erfährt natürliche Grenzen und entwickelt ganz von selbst Fantasie und Kreativität.
M-Q: Seit es Landwirtschaft gibt, also seit dem Ende der Steinzeit, sind Kulturlandschaften und nicht mehr Wald und Wildnis der Lebensraum des Menschen. Ist der Wald überhaupt ein geeignetes Umfeld für Kinder zum Aufwachsen?
Julia Lohner: Der Wald ist für Kinder perfekt. Die Bäume bieten sich als Schutz an – nicht nur vor Regen und Schnee. Die Kinder fühlen sich im Wald aufgehoben und sicher. Die Kulturlandschaften sind vom Menschen geformt. Mauern, Hecken, Zäune zeigen an, wo etwas anfängt und wo etwas aufhört. Ein Gefühl von „da geht es einfach nicht weiter“. Das braucht der Wald nicht. Er ist einfach da.
M-Q: Was lernen Kinder in Ihrem Waldkindergarten, was sie in einem „normalen“ Kindergarten nicht lernen?
Julia Lohner: Sie entdecken vor allem das Spielen mit Materialien aus der Natur. Tannenzapfen, leere Schneckenhäuser, Moos, Steine und natürlich Holz. Sie bauen sich einen Besen aus Tannenzweigen und einem Ast. Der ist dann wahlweise ein Besen zum Kehren, zum Reiten oder auch zum Kochen oder Feuer machen. Dazu braucht man dann ein Haus und plötzlich spielen alle zusammen Familie mit Hund und Katz und Baby. Das Kinderspiel im Wald kommt mir freier und fantasievoller vor. Die Kinder spielen miteinander egal, ob sie drei oder fünf oder sechs Jahre alt sind.
M-Q: Wie sieht der Tagesablauf für die Kinder in Ihrem Waldkindergarten aus?
Julia Lohner: Nach der Bringzeit, um 8.45 Uhr, sitzen alle gemeinsam im Morgenkreis, wo über die Spielplätze im Wald abgestimmt wird. Dann geht die Gruppe los und sucht sich einen Platz im Wald um dort die Brotzeit zu machen. Danach ist Freispiel in der Natur oder die Gruppe kehrt zum Platz am Bauwagen zurück, um zu Basteln oder zu Spielen. Zur Mittagszeit gibt es dann auch das das Mittagessen am Bauwagen. Danach gibt es einen kurzen Abschlusskreis und gemeinsames Aufräumen. Abholzeit ist dann ab 14 Uhr.
M-Q: Die Kinder verbringen die Zeit im Freien. Wie ist das Essen organisiert?
Julia Lohner: Die Kinder nehmen eine Brotzeit für den Vormittag mit in den Wald. Das Mittagessen wird von den Familien frisch zubereitet und in den Wald gebracht. Einmal in der Woche organisieren wir ein Picknick, das an verschiedenen Plätzen stattfindet.
M-Q: Wie ist die Hygiene geregelt, also Toilettengänge für die Kinder und das Personal und das anschließende Händewaschen?
Julia Lohner: Die berühmte Toilettenfrage! In der Bauwagennähe gibt es eine Wald-Toilette, die regelmäßig gereinigt wird. Daneben ist ein Wasserspender aufgehängt und ein Handtuch. Außerdem gibt es jeden Tag frisches Wasser zum Händewaschen im Bauwagen, das die Eltern abwechselnd bringen.
M-Q: Fuchsbandwurm, giftige Pilze, Blätter, Beeren… im Wald lauern Gefahren. Wie gehen die Verantwortlichen im Waldkindergarten damit um?
Julia Lohner: Die Kinder lernen von Anfang an, dass sie aus dem Wald nichts essen dürfen. Anhand von Bildern in Büchern lernen die Kinder von den Erziehern vieles über Beeren, Früchte, Bäume und Tiere und werfen im Wald einen genauen Blick auf das, was sie aus den Büchern kennen. Außerdem sind die Kinder sehr gut darin, sich gegenseitig zu sagen, was sie nicht dürfen.
M-Q: Die Kinder sind bei Wind und Wetter draußen. Wie schützen Sie die Kinder vor Erkältungen und Verletzungen beim Hantieren mit Naturmaterialien?

Ausrüstung für einen Herbsttag im Waldkindergarten: Matschhose, Anorak, Stiefel, Handschuhe, Rucksack
Julia Lohner: Das Wetter spielt kaum eine Rolle, die Kleidung ist wichtig. Richtige Erkältungen sind bei unseren Kindern sehr selten. Das Immunsystem funktioniert sehr gut durch die frische Luft und die Bewegung im Freien. Außerdem ist das Mittagessen warm, frisch und saisonal, aus meiner Sicht eine wichtige Voraussetzung für einen gesunden Körper. Verletzungen kommen wie in jedem anderen Kindergarten natürlich auch vor, meistens kleine Schnitte von Gräsern, die von unseren Erziehern sofort fachgerecht versorgt werden.
M-Q: Eine Anlaufstation für die Kinder und BetreuerInnen ist der Bauwagen. Was findet im Bauwagen statt?
Julia Lohner: Im Bauwagen findet kaum etwas statt. Die Wechselkleidung, das Geschirr, die Bastelmaterialien und Werkzeuge werden dort gelagert.
Der Waldkindergarten bietet Vorschul-Erziehung rund um das Thema Natur
M-Q: Wie ist die Vorschul-Erziehung organisiert?
Julia Lohner: Die Kinder, die im letzten Kindergartenjahr sind haben einmal in der Woche eine Vorschulgruppe. Diese hat kein festes Programmschema und greift bewusst auf keine Lerninhalte der Schule vor.
Die Erzieher begleiten den Übergang zur Schule jedoch durch die gezielte Unterstützung von Basiskompetenzen, die den Kindern später das schulische Lernen erleichtern. Ein beliebtes Spiel ist z.B. das Legen von Buchstaben und Zahlen mit Ästen. Oder das Bauen von Objekten – in diesem Jahr ein Flugobjekt – mit den unterschiedlichsten Materialien. Motorik, Sensorik, 3-D-Sehen und (einfache) Physik werden hier in einem aufgegriffen und vermittelt. Ohne Formblätter oder Bücher.
M-Q: Wie erleben Waldkindergarten-Kinder, die es gewohnt waren, immer draußen zu sein, die Schulzeit, die ja in geschlossenen Räumen stattfindet? Gibt es dazu Rückmeldungen von ehemaligen Waldkindergarten-Eltern?
Julia Lohner: Die Rückmeldungen sind sehr positiv, vor allem für die Schulen: Waldkindergartenkinder fordern Pausen im Freien ein. Die Lehrer geben den Eltern die Rückmeldung, dass sich die Waldkinder besser konzentriert arbeiten, dass sie sehr gute Sozialkompetenzen aufweisen und ihre körperliche Belastbarkeit besser kennen und einschätzen können.
M-Q: In München gibt es mehrere Waldkindergärten, Ihren Waldkindergarten in Trudering, einen Waldkindergarten in der Aubinger Lohe, in Harlaching und in Pasing sowie einen Naturkindergarten in der Fasanerie. Arbeiten Sie mit diesen Kindergärten zusammen?
Julia Lohner: Natürlich. Es gibt eine Vernetzung der Natur- und Waldkindergärten, die im regelmäßigen Erfahrungsaustausch miteinander stehen.
M-Q: Nur wenige Großstadt-Kinder wohnen in der Nähe eines Waldes und können in einen Waldkindergarten oder Naturkindergarten gehen. Kann man das Konzept des Waldkindergartens oder Naturkindergartens auch auf Parks übertragen? Also Naturpark-Kindergärten mit Bauwagen betreiben?
Julia Lohner: Auf jeden Fall. In Haidhausen gibt es bereits so ein Konzept, in anderen Städten auch. Die Kinder treffen sich an einer Sammelstelle und fahren von dort mit den öffentlichen Verkehrsmitteln in die Natur. Ein Bauwagen muss nicht zwingend sein. Ich wünsche mir für die Kinder mehr von diesen Naturkindergartenkonzepten. Die Kinder sind dadurch einfach so beseelt und entspannt.
M-Q: Was raten Sie Eltern, die sich überlegen, ihr Kind in einem Waldkindergarten oder Naturkindergarten betreuen zu lassen?

Mittagessen, frisch von den Eltern gekocht und angeliefert
Julia Lohner: Bringen Sie Zeit mit! Etwas anderes braucht ein Kind nicht. Unser Kindergarten ist eine reine Elterninitiative. Das heißt, dass wir alles selbst organisieren vom Essen, über Feste, Einkaufen für Geburtstage, bis hin zu Ausflügen und Spielnachmittagen. Es ist eine schöne und wertvolle Arbeit, die Zeit in Anspruch nimmt. Andererseits bekommt man so viel zurück, kann selbst aktiv die Kindergartenzeit seines Kindes mitgestalten – und das ist unbezahlbar.
Interessierte Eltern dürfen am Infoabend im Januar sich ein Bild von unserem Waldkindergarten machen. Alle Termine des Kindergarten sowie viele weitere Informationen finden Sie zudem auf unserer frisch überarbeiteten Internetseite: www.waldkindergarten-trudering.de
M-Q: Vielen Dank für das Gespräch.

Julia Lohner
Information und Kontakt:
Waldkindergarten Trudering e.V.
Julia Lohner, Presseverantwortliche
Kreuzkopfstraße 9
81825 München
info@waldkindergarten-trudering.de
Mehr über den Tagesablauf im Waldkindergarten in unserer ausführlichen Fotogalerie unter Ein Tag im Waldkindergarten Trudering.